Das Geheimnis der Krokusse

Im März und April strömen die Freunde des Krokusses nach Drebach zwischen Zschopau und Marienberg. Warum das so ist? Die Antwort gibt unsere Reportage: Die Wiesen zwischen den Häusern im Tal schimmern wie ein grün-blasslila melierter Teppich. Ein Tross von Spaziergängern zieht sich durchs Dorf. Breitbeinig visieren Hobbyfotografen das Blütenflor an. Andere knien am Weg, um einzelne Kelche in Makroaufnahme zu konservieren. Den steilen Weg östlich von Drebach zur Straße nach Wolkenstein stapfen nur wanderfeste Besucher empor. Am Ende unter Bäumen steht ein verwitterter Stein mit kupferner Tafel.

Rosita Neef stemmt die Hände in die Taille und liest im Verschnaufen die Gedenkschrift für David Rebentrost (1614 - 1703). "Genau wie der Fleischer erzählt hat", bekräftigt die 55-jährige Dresdnerin ihren nahenden Freundinnen. Die Legende, die sich um den einstigen Drebacher Pfarrer rankt, kennt im Ort wohl jeder. Weil Rebentrost dem Kurfürsten oder auch dessen Pferd - da sind Geschichtenerzähler uneins - bei dessen Ausritt eine Wunde versorgte, habe der Fürst dem Pflanzenfan drei Gewächse aus seinem Garten vermacht. Neben einer Eibe und einem Milchstern auch jenen Krokus, dessen Abkömmlinge sich über Jahrhunderte von Drebacher Hangwiesen hinab ins Tal ausbreiteten und alljährlich zur Blütezeit für Pilgerströme sorgen.

Ob Rebentrost seinem Namen entsprechend beim Wein Trost suchte, als die Gemeinde ihn anfeindete, ist nicht überliefert. Ebenso wenig kann man nachlesen, dass man dem Mann seine Pfarrstelle einst wegen eben jener Vorlieben wieder wegnahm, wegen derer man ihm heute huldigt. Der Chronik nach beklagte man damals des Pfarrers Quacksalberei und dass er Pflanzen mehr Fürsorge angedeihen ließ als seinen Gemeindeschäfchen. Heute freut man sich im Ort dagegen über jeden Pflanzenkundler, der einem bisher nur lückenhaft erforschten Geheimnis auf die Spur zu kommen hilft. Während die Tages- und Jahreszeitrhythmik der Drebacher Krokusse hinlänglich ergründet scheint, geben die Langzeitzyklen der eigenartigen Spezies Crocus Vernus Wulf Forma Drebachiensis nämlich immer noch Rätsel auf.

Ob Drebach in Blüte und Besucherzahl eine Supersaison erlebt, wie kurz nach der Wende mit über Zehntausenden Gästen, hängt grob gesagt von Faktoren ab, die auf Mensch und Pflanze in ähnlicher Form wirken. Zwar sind sich Hormonforscher und Verhaltenskundler nicht ganz einig, wie sehr das länger währende Tageslicht beim Zivilisationsmenschen noch die innere Uhr beeinflusst. Doch dass die Sonne Lichtrezeptoren auf der Netzhaut kitzelt und so von der Zirbeldrüse im Hirn weniger Melatonin ausgestoßen wird, gilt als allgemein anerkannt. Der Spiegel des Wintermüdigkeit fördernden Schlafhormons sinkt. Tatendrang, der im Frühjahr in die Natur lockt, ist die Folge.

Jens Dageförde winkt angesichts wissenschaftlicher Exkurse ab. An seinen Krokussen kann er nicht nur die Jahres-, sondern zumindest früh auch die Uhrzeit ablesen. "Sobald die Sonnenstrahlen stärker werden, so ab 10 Uhr früh, öffnen sich die Krokusse und bleiben bis zum Abend auf", sagt der 51-jährige Drebacher, der sich seit dem 13. Lebensjahr um die blühenden Wahrzeichen seines Heimatorts kümmert. Dageförde ist Vorsitzender des zur Wendezeit eigens für die Organisation der Blütezeit gegründeten Krokus-Ausschusses. Doch der kann bislang nur die Lenkung der Touristenströme beeinflussen: Mit dem Ausweisen von Parkplätzen, dem Aufstellen der über 40 Schilder mit der Eule, die auf den Naturdenkmal-Charakter der siebeneinhalb Hektar Blütenfläche hinweisen und mit dem Anwerben freiwilliger Helfer von örtlichen Vereinen.

Nicht zu beeinflussender Faktor ist das Wetter. "Ein bisschen Nachtfrost macht nichts, aber wenn es tagsüber regnet, ist es mit der Blüte vorbei, weil Krokusse sich nicht schnell genug schließen können", sagt Dageförde. In diesem Jahr blieb der Wettergott eine Woche lang hold und bescherte den Drebachern gleich zwei publikumsträchtige Wochenenden.

Was Dageförde, sein Ausschuss und private Drebacher Krokusliebhaber jetzt noch zu verstehen und längerfristig zu steuern versuchen, ist jene rätselhafte Wanderschaft der Krokusse. An den ursprünglichen Hangwiesen beidseits des Krokussteigs, wo die Blütenpracht einst ihren Anfang nahm, ist das Lila der Teppiche dürftiger geworden. Auch im Ort verändert sich die Lage der prächtigsten Flore über die Jahre immer wieder.

"Klar ist nur, dass Krokusse keine Staunässe mögen, aber am Boden, an den Nährstoffen, an der Lage liegt es sonst nicht", sagt Jens Dageförde. Das weiß er inzwischen genau. Konkret, seit jene mehr als 100-seitige Forschungsarbeit vorliegt, die eine Diplomandin der Universität Jena erarbeitet hat. Diese Diplomarbeit habe sogar mit einer seit Jahrzehnten überlieferten Mär aufgeräumt: "Dass eine späte Mahd das Nonplusultra für die Krokuswiesen ist." Vielmehr habe die Arbeit belegt, dass sehr zeitiges Mähen den Wiesen sogar besser bekommen könne. "Wenn nach der Blüte gemäht wird, noch bevor sich die Samenkapseln gebildet haben." Wenn das gemähte Gras von der Wiese geräumt sei, verbreiten sich ausfallende Samen schließlich weit besser über den Boden, als wenn sie im gemähten Gras hängen bleiben. "Dann faulen sie nämlich", sagt Dageförde.

Lediglich etwas Geduld müsse man aufbringen. Bis aus den Samenkapseln Zwiebeln werden, die blühende Krokusse treiben, dauert es bis zu sieben Jahre. Was die vormals so beschworene späte Rasenmahd betrifft, macht Dageförde darin einen der möglichen Gründe für die Wanderschaft der Drebacher Krokusse aus. Doch das sei bisher noch Orakelei. "Wenn die Bauern früher das Heu von A nach B gefahren haben, lagen dazwischen wohl ausgefallene Krokussamen", urteilt der Ausschusschef. Auch den oft zitierten Verbreitungsweg über Tiere, die Samen fräßen und unverdaut wieder ausschieden, hält er für nachvollziehbar, wenngleich er nicht glaube, dass den Vögeln dabei die ihnen immer wieder zugesprochene Hauptrolle zukommt. "Ich denke, Mäuse und andere Nager haben wesentlich größeren Anteil", sagt Dageförde.

Um die Wanderung der Krokusse genauer zu belegen und Pflegemaßnahmen penibel zu dokumentieren, wurden im Zuge der Diplomarbeit 16 je einen Quadratmeter große Testflächen auf den Wiesen markiert. "Da liegen Metallmarker unter der Oberfläche im Boden. Mit dem Mäher kann man drüberfahren, findet sie mit dem Suchgerät aber leicht wieder", sagt Dageförde. Auf den Referenzfeldern soll die Entwicklung der Dichte blühender oder auch nur Blätter treibender Pflanzen über die Jahre dokumentiert und ausgewertet werden. "Mitunter gibt es 400 Pflanzen auf einem Quadratmeter, wenn davon nur 100 blühen, ist das ein richtiger Teppich", sagt der Ausschuss-Chef.

Allerdings zeigten sich Krokuswanderer am Wochenende auch froh über vereinzelte rein grüne Wiesen. Am Teichweg im Tal etwa hatte man auf genau so einem Stück schließlich Rosterstände und Getränkebuden aufgebaut, an denen sich die Menschentrauben sammelten. Trost im Wein suchte dort keiner, doch hoben viele ein Glas mit Bier: Zum Prost auf Rebentrost.

Die schönsten Bilder aus dem blühendem Drebach.

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